Das polnische Danzig – ein Kommentar

Das polnische Danzig (Gdańsk) ist heute eine quirlige, stolze und aufstrebende Hansestadt. Jeden Sommer treffen sich hier hauptsächlich junge Europäer aus Skandinavien, Großbritannien, Irland, Deutschland mit ihren Danziger Gastgebern. 13 Fluglinien mit etwa 60 Direktverbindungen bringen sie in den Sommermonaten zum Lech-Wałęsa-Airport der Ostseemetropolen Gdańsk, Gdynia oder Sopot, die inzwischen längst zu einer Dreistadt (Trójmiasto) zusammengewachsen sind. Leider kommen die Bremer per Flieger nicht mehr direkt dort hin, aber dafür wieder seit einigen Jahren auch aus Hamburg.

Gdańsk, Sopot und Gdynia sind das ganze Jahr eine Reise wert. Ach ja, Freunde gewinnen mit Hilfe der Sprache ist in Danzig ganz einfach. Man sollte einfach die polnische Bezeichnung der Stadt perfekt aussprechen, also nicht „Gdansk“ sondern „Gdainsk“ sagen und dann kann man sicher sein, dass die polnischen Partner sofort mit einem ihrer Lieblingshobbys beginnen, nämlich nach polnischen Vorfahren bei ihren Gästen zu suchen.

Die Danziger Stadtoberhäupter, so die Stadtpräsidentin Aleksandra Dulkiewicz, sind regelmäßig Gäste des Bremer Senats, sei es zu Veranstaltungen der Städtepartnerschaft zwischen Bremen und Danzig, zur Eiswette, zum Festival Maritim oder anderen Anlässen, wie 2022 zur Einweihung der Paweł-Adamowicz-Straße in Bremen.  Paweł Adamowicz – 2019 ermordeter Danziger Stadtpräsident – nannte Danzig eine Stadt mit einer deutschen und polnischen Vergangenheit und einer polnischen Gegenwart und Zukunft.

Nach 1945 haben die Polen in Danzig erstaunliches geleistet. Viele von ihnen kamen aus Litauen und anderen Gebieten weiter im Osten. So war die historische Altstadt, in den letzten Kriegstagen nahezu komplett zerstört, bereits Ende der 60-ger Jahre wieder entstanden, natürlich mit modernen Wohnungen im Inneren der Gebäude. Die „Starówka“ entstand nach alten Zeichnungen und Stichen wieder, wie es in der Zeit des „Königlichen Preußens“ aussah, königlich deshalb, weil Preußen damals zur polnischen Krone gehörte, also Teil des polnischen Staates war.

Aber die stolzen Danziger, oft aus den Niederlanden und Deutschland stammend und im Wesentlichen durch den Getreidehandel reich geworden, waren schon immer sehr eigen. So findet man im Danziger Nationalmuseum heute das Original des „Memling“, wie die Danziger es nennen, aber eigentlich heißt das Triptychon „Das Jüngste Gericht“. In Brügge als Auftrag für Italien von Hans Memling erschaffen, wurde es von der „Peter von Danzig“ unter Kapitän Paul Beneke auf einer Kaperfahrt erbeutet und nach Danzig gebracht. Trotz Interventionen von Königen und Bischöfen behielten es die Danziger. Nach dem verheerenden 2. Weltkrieg – der hier in Danzig mit dem Überfall des deutschen Linienschiffes „Schleswig-Holstein“ auf die polnischen Stellungen auf der Westerplatte seinen Anfang nahm – kehrte es über Stationen in Thüringen, der Leningrader Eremitage und Warschau dann 1958 nach Danzig zurück und ist heute dort zu bewundern.

In Gedenken an die Opfer und den Widerstand gegen den Terror des Hitler-Regimes steht an der Hafeneinfahrt nach Danzig heute das weithin sichtbare Denkmal der Helden der Westerplatte, wo bereits viele deutsche Staatsmänner und Politiker am 1. September des Beginns des 2. Weltkrieges gedacht haben. Etwas außerhalb von Danzig liegt das ehemalige deutsche Konzentrationslager Stutthof. Über die Gräuel insbesondere an der polnischen und jüdischen Danziger Bevölkerung berichtet der Bremer Politiker Hermann Kuhn in seinem Buch „K.L. Stutthoff – ein historischer Abriss“.

Das erst 2017 neu eröffnete Museum des 2. Weltkrieges ist inhaltlich kein Militärmuseum, wie man es erwarten könnte, sondern zeigt – auch nach einigen lauten Diskussionen – den furchtbaren Krieg und die Leiden aus der Sicht der polnischen Zivilbevölkerung eingebettet in einen europäischen und internationalen Kontext.

Aussöhnung und Verständigung – das waren die Ziele, die sich die Bremer „Eltern“ der Städtepartnerschaft, der verstorbene Bürgermeister Hans Koschnick und seine Ehefrau Christine Koschnick stellten. Dank deren Umsicht und Weitsicht wurde Bremens erste Städtepartnerschaft schon 1976 geschlossen – und das über den eisernen Vorhang hinweg.

Diese Partnerschaft ist heute mehr denn je lebendig und geschätzt, auch wenn sie aktuell kaum Thema für „Breaking News“ in den Medien bildet. Bremens Bürger sind stolz, was sie im Rahmen der Städtepartnerschaft und mit Hilfe der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bremen (1975 gegründet) geleistet haben. Ehrenbürger und Botschafter der Stadt Danzig, fuhr der Handchirurg Dr. Paschmeyer (Honorarkonsul der Republik Polen in Bremen von 2007-2012, 2022 verstorben) nach einem furchtbaren Brand in einer Konzerthalle Anfang der 90-er Jahre sofort nach Danzig und operierte verletzte Kinder. Ein Teil der Kinder wurde dann weiter in Bremen behandelt. Das Schöne ist, dass der persönliche Kontakt bis 2022 bestand. Die Bürgermeister Bremens haben sich für die Partnerschaft mit der polnischen Stadt hart ins Zeug gelegt. Dank Bürgermeister a.D. Wedemeier gibt es das Deutsch-Polnische Jugendwerk und Bürgermeister a.D. Scherf leitete die erste von der Deutsch-Polnischen Gesellschaft organisierte Bürgerreise in die Partnerstadt. Im Herbst 2016 konnte der Bremer Bürgermeister gemeinsam mit seinem Danziger Amtskollegen 40 Jahre Städtepartnerschaft feierlich mit einer großen Delegation aus Wirtschaft und Kultur in der polnischen Hafenstadt begehen.

Doch besonders am Herzen liegen uns weiterhin die Kontakte und Begegnungen der Jugend. Die Jugendherbergen beider Städte arbeiten dank Rainer Nalazek – Bremer Abgeordneter a. D sowie ehemaliger langjähriger, sehr engagierter und erfolgreicher Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bremen – und seiner Frau Christa eng zusammen. Dafür wurde er vom polnischen Staatspräsidenten 2021 mit dem Ritterkreuz des Verdienstordens der Republik Polen geehrt. Junge Studenten der Hochschule Bremen erarbeiteten u.a. gemeinsam mit der Danziger Technischen Universität (Politechnika) Projekte für einen neuen Stadtteil in Gdańsk, die Hochschule Bremerhaven beging gerade im Jahre 2018 40 Jahre Partnerschaft mit der Seefahrtsschule in Gdynia und fördert einen intensiven Studentenaustausch. Nahezu jedes Jahr im September findet in Bremen ein Festival Junger Musiker mit Workshops aus Deutschland und Polen gemeinsam mit Partnern der Musikhochschule Danzig statt, wo junge deutsche und polnische Musikschüler und Studenten miteinander wetteifern und lernen.

Danzig ohne Günter Grass? Geht nicht! Schon ab Ende der 60-er Jahre konnten die damals wenigen deutschen Auslandsstudenten mit dem in Danzig geborenen Schriftstelle in einem Zoppoter Café “Złoty Ul“ diskutieren. Heute unterhält die Stadt Danzig eine Günter Grass Galerie – ein Teil der Stadtgalerie Danzig – in der Szeroka Str. (Breite Straße), in der nicht nur der Nobelpreisträger und Ehrenbürger der Stadt geehrt wird, sondern eine neue Ausstellung der Gegenwartskunst stattfindet. Vorbereitet wurde sie u.a. von der Bremer Kunstkuratorin Iwona Bigos (Mitglied des DPG-Vorstandes).

Alle Danzig-Besucher sind sich in einem einig: In Danzig wird geklotzt und nicht gekleckert. Das Containerterminal im Nordhafen wurde zum zentralen Verteilerzentrum für die Containerriesen der großen Reedereien in der Ostsee und erreichte einen Umschlag von mehr als 2 Millionen Containern (TEU) womit er sich in der letzten Dekade mehr als verzehnfachte. Viele werden die Star Tankstellen in Deutschland kennen, deren Produkte nach einer weiteren Fusion der polnischen Mineralölkonzerne u.a. aus der Danziger Erdölraffinerie kommen, die von See aus mit Großtankern seit den 70-er Jahren versorgt wird. Aber das europäische Werftensterben machte auch vor Polen nicht halt, so dass sich das ehemalige Gelände der traditionsreichen Danziger Werft in einer Phase der Umstrukturierung befindet und dabei gern die Erfahrungen der Partnerstädte genutzt werden. Um die Altstadt herum entstehen immer neue schicke Viertel; ohne Baukräne scheint auch in Danzig etwas zu fehlen. Dabei denken die Danziger stets traditionell mit hanseatischer Weitsicht.

Heute ist den Bremern die Stadt Danzig vor allem als Wiege der Solidarność-Bewegung unter Lech Wałęsa aus den 80-ern bekannt. Doch eigentlich begannen die Danziger Arbeiter mit ihren Protesten gegen die Entscheidungen aus Warschau schon viel früher. Nach einer drastischen Preiserhöhung vor Weihnachten 1970 zündeten sie kurzerhand das Parteigebäude an und der Erste Sekretär in Warschau, Władysław Gomułka, wurde gestürzt. Spannend und auch detailreich versetzt das „Europäisches Zentrum der Solidarność” (ECS) die Besucher in die Ereignisse dieser Zeit in Polen, deren Einfluss auf die spätere Gestaltung des friedliebenden, freien Europas immer noch den entsprechenden Platz in unserem Geschichtsbewusstsein sucht. Das neue 2014 fertiggestellte ECS ist heute alles andere als ein Museum. Unter der Leitung des Direktors Basil Kerski finden in diesem Europäischen Zentrum viele wegweisenden Kongresse und politischen Veranstaltungen statt.

Polen feierte erst 2018 den 100. Jahrestag der Wiedererlangung der staatlichen Unabhängigkeit, nachdem das polnische Volk für 123 Jahre unter den Russen, Deutschen und Österreichern aufgeteilt war. Mit diesem Datum ging aber auch ein anderes gemeinsames deutsch-polnisches Jubiläum einher, nämlich 100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland und Polen. Die Bremerinnen haben es im Rahmen ihres 2. Frauenforums gemeinsam mit den Danzigerinnen begangen – natürlich im Europäischen Solidarność-Zentrum in Danzig. Inzwischen arbeiten die Aktivistinnen gemeinsam mit der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bremen und den polnischen Partnergesellschaften schon längst an den nächsten Treffen, denn auf diesem Gebiet ist es in beiden Städten immer noch ein weiter Weg.

Den jüngsten Danzigern und Bremern stellen die DPG und die Danziger Partner in zwei animierten Kinderfilmen (“Danzig – mit Kinderaugen / Bremen mit Kinderaugen”) jeweils Ihre Partnerstadt vor. Dieses unter der Leitung der DPG-Vorsitzenden Katarzyna Weichert entstandene Projekt wird nun in den Kindergärten und Grundschulen beider Städte gezeigt.

Doch wenn uns etwas gemeinsam gelingt, so ist das nur mit Hilfe der Gesellschaft Polen-Deutschland (TPN) in Danzig und ihrem Vorstand möglich. Unter der Leitung von Anna Misztal (2020 verstorben) und Jolanta Murawska feierte die Gesellschaft im Herbst 2021 im Solidarność- Zentrum in Danzig ihr 30-jähriges Bestehen, zu dem eine Delegation der DPG und der Vertreter Bremens herzlich gratulierten.

Uwe Metschke, Vorsitzender a.D. der DPG Bremen