Zwei Städte wie Geschwister

Der WESER-KURIER, Bremens führende Tageszeitung veröffentlichte heute folgenden Beitrag von Patrycja Friedek:

Bremen und Danzig pflegen seit Jahrzehnten eine innige Städtepartnerschaft. Bremen möchte jetzt mehr für den Jugendaustausch tun und unterstützt Lesben, Schwule, Queere, Bi-, Trans- und Intersexuelle.

Zwei Wahrzeichen Danzigs: Der Neptunbrunnen vor dem alten Rathaus, wo 1976 die Bürgermeister Hans Koschnick und Andrzej Kaznowski den Partnerschaftsvertrag zwischen Danzig und Bremen unterzeichneten.

Brema i Gdańsk, Bremen und Danzig. Gäbe es so etwas wie Verwandtschaft unter Städten, wären diese beiden wohl Geschwister. Sie sind Hafenstädte, Bremen im Norden Deutschlands und Danzig im Norden Polens. Logisch nur, dass sie eine gewisse Optik gemeinsam haben. Die Promenade mit den eindrucksvollen Segelschiffen, die alten Backsteingebäude, oder sogar ein identischer Brunnen – Bremen schenkte Danzig einst ein Abbild des Pferdebrunnens, der am Ende der Sögestraße steht.

Aber auch politisch haben die Städte viele Gemeinsamkeiten. Danzig und Bremen sind offene und freiheitliche Orte, an denen liberale und demokratische Werte gelebt und von ihren Bürgern engagiert getragen werden. Seit 1976 pflegen Bremen und Danzig eine enge Partnerschaft. Die intensivste von allen, wie Birgitt Rambalski als Verantwortliche für auswärtige Angelegenheiten im Bremer Rathaus sagt. Der Rahmenvertrag war der erste, der nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen einer deutschen und einer polnischen Stadt geschlossen wurde. Er setzte sich die Aussöhnung zwischen den Völkern zum Ziel, nachdem das Verhältnis durch den Überfall Deutschlands auf Polen 1939 brachlag. Noch heute stellt die Partnerschaft eine Brücke dar, während im deutsch-polnischen Verhältnis wegen der nationalkonservativen Entwicklungen im Nachbarland Mauern entstehen – auch, wenn Politik für die meisten Partnerschaftsvereine zweitrangig ist.

Als zentrale Instanz für die gesellschaftlichen Bewegungen gilt die Deutsch-Polnische Gesellschaft (DPG) in Bremen sowie ihr Pendant TPN, die Gesellschaft Deutschland-Polen in Danzig. Gemeinsam haben sie zum Beispiel jüngst eine Bibliothek mit deutschen Büchern in den Räumen von TPN eingerichtet, für die Bremer zuvor etliche Bücher gesammelt haben. Verbände und Vereine wie die Awo, die Lions Clubs oder die Rotarier organisieren immer wieder Reisen für Jugendliche und Erwachsene.

Einen wichtigen Bestandteil der Partnerschaft bilden die Pfadfinder. Sie haben sich stets engagiert, selbst als es aus politischen Gründen nicht erwünscht war. Zum Beispiel in den 1980er-Jahren, als Polen das Kriegsrecht ausrief. Auch da stand Bremen den Danzigern zur Seite und schickte Versorgungspakete. „Bremen hat uns damals sehr geholfen, als wir viele Sachen nicht in den Geschäften kaufen konnten“, erinnert sich Jolanta Murawska, Vorsitzende der Polnisch-Deutschen Gesellschaft in Danzig.

SENAT FINANZIERT LGBTGI-PARTNERSCHAFT ZWISCHEN BREMEN UND DANZIG MIT 20.000 EURO

Ein Projekt ist der Austausch zwischen dem Bremer Christopher-Street-Day und dem Danziger Tolerado-Verein. Beide setzen sich für die Rechte von Lesben, Schwulen, Queeren, Bi-, Trans- und Intersexuellen (LGBTQI) ein und haben eigens für die Partnerschaft einen Zusammenschluss namens Queer Cities gegründet. Das Projekt finanziert der Bremer Senat mit 20.000 Euro im Jahr.

Obwohl sich Danzig im Vergleich zu vielen anderen polnischen Städten gegen Diskriminierung von Minderheiten einsetzt, ist es immer noch keine sichere Insel für jene Menschen. Auch dort werden sie auf der Straße beschimpft oder körperlich angegriffen. Daher ist es zu gefährlich, eine feste Bühne bei einer Pride-Demonstration zu installieren, einer Kundgebung der LGBTQI-Gemeinschaft  für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung. Als Plattform für Musik und Reden nutzt Tolerado daher Lkw. Akardiusz Jemielniak von Tolerado erzählt davon, wie dem Verein von einem Tag auf den anderen der Mietwagen nicht mehr zur Verfügung stand – nachdem bekannt wurde, wofür er genutzt werden sollte. Da sprangen die Bremer ein und mieteten in Deutschland einen Lkw, der bei der Pride-Demo in Danzig mitfuhr.

Doch es gibt auch Akteure, die sich mehr bürgerliches Zusammensein wünschen. So beschloss die Bürgerschaft 2021 einen Antrag von SPD, CDU, Grünen, Linken und FDP. Ziel: mehr Begegnungen zwischen den Bürgerinnen und Bürgern der Städte zu fördern. Die Fraktionen forderten die Unterstützung von Jugendaustauschen durch Erasmus sowie eine intensivere Zusammenarbeit etwa zwischen Sportvereinen.

In diesem Zusammenhang möchten wir auch ein Interview mit der Danziger Stadtpräsidentin Aleksandra Dulkiewicz anführen:

Frau Dulkiewicz, was ist das Erste, das Ihnen in den Sinn kommt, wenn Sie an Bremen denken?

Ich denke an die Stadtmusikanten, an das charmante Schnoor-Viertel, an den Roland, an das Bremer Rathaus. Ich denke an all die Dinge, von denen ich gehört und gelesen habe, bei denen ich aber noch keine Gelegenheit hatte, sie mit eigenen Augen zu sehen. Aber: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die bisherigen Versäumnisse hole ich schon im Mai nach, weil ich Bremen im Zuge des 400-jährigen Hafengeburtstags in Vegesack besuche.

Was bedeutet die Städtepartnerschaft zwischen Bremen und Danzig für Sie?

Die Zusammenarbeit zwischen Bremen und Danzig hat sich im Laufe der Zeit verändert. Am Anfang bestand sie vor allem aus der Unterstützung von deutscher Seite. Wir sind zu großem Dank verpflichtet für die moralische und materielle Hilfe, die wir etwa nach der Einführung des Kriegsrechts in Polen im Jahr 1981 erfahren haben. Dann ist uns Bremen mit großer Empathie begegnet, als es 1994 zu einem Großbrand in der Ausstellungshalle in der Danziger Werft kam. Der Leiter der Roland-Klinik, der eine Aktion zur Hilfe der Brandopfer ins Leben rief, Dieter Paschmeyer, wurde zum Ehrenbotschafter Danzigs ernannt und später sogar zum Honorarkonsul der Republik Polen. Uns war es zudem sehr wichtig, von den deutschen Erfahrungen bei der Schaffung der kommunalen Selbstverwaltung zu lernen. Von den Bremer Bürgerinnen und Bürgern lernten wir die Prinzipien der gesellschaftlichen Teilhabe. Und man könnte sagen, es war Bremen, das uns in Brüssel vorgestellt hat. Aber wir haben festgestellt, dass wir uns nicht nur darauf beschränken können, zu nehmen, sondern dass es uns ebenso große Freude macht, zu geben.

Wie sieht dieses Geben aus?

Zum Beispiel im Bereich der Umsetzung großer Investitionsprojekte. Diese Art des Wissenstransfers betraf ehrgeizige Wirtschaftsprojekte in geeigneten postindustriellen Gebieten nach dem Schiffbau, wie etwa den Spacepark in Bremen und Young City in Danzig. Wir handeln gemeinsam, bilden eine Koalition und leisten Unterstützung auch im Bereich internationaler Organisationen, in denen wir Mitglied sind. Ein Beispiel ist der europäische Ausschuss der Regionen. Zudem suchen wir gemeinsam nach Möglichkeiten, andere Städte zu unterstützen, die in einer schwierigeren Situation stecken, etwa Partnerstädte im Osten.

Wie betrachten Sie die heutigen Beziehungen zwischen Polen und Deutschland?

Es ist ein sehr schmerzhaftes Thema in Danzig und gleichzeitig stellt es einfach eine echte Bedrohung dar. Mein Vorgänger im Büro des Präsidenten von Danzig, Paweł Adamowicz, wurde zum tödlichen Opfer einer geballten Hasskampagne. Die Begleitung durch einen bewaffneten Sicherheitsdienst ist zum Teil meines Lebens geworden. Das ist keine Laune, sondern ein Ergebnis der Dutzenden Bedrohungen, mit denen ich regelmäßig überflutet werde. Sie können sich sicherlich nicht der Angst ergeben und von der Angst gelähmt werden. In Danzig haben wir das Motto: nec temere nec timide, also weder unbesonnen noch furchtsam. Das ist ein tolles Motto für alle, die trotz des Gegenteils wissen, dass sie eine wichtige Aufgabe zu erfüllen haben.


Wie hilft Ihnen die Partnerschaft mit Bremen, gegen die nationalkonservativen Entwicklungen im Land anzukommen?


Internationale Beziehungen, das Kennenlernen anderer Perspektiven zur Bewertung derselben Phänomene können uns nur bereichern. Offenheit und Gesprächsbereitschaft sind die Basis für eine verlässliche Einschätzung der uns umgebenden, komplizierten Realität. Das lehren uns die Kontakte zu unseren ausländischen Partnern, darunter Bremen.

Auch wenn Danzig eine sehr weltoffene Stadt ist und Sie als Präsidentin Minderheiten unterstützen, werden diese doch teils offen diskriminiert. So fuhr etwa vor ein paar Jahren ein Bus mit homophoben Aussagen durch die Stadt. Wie gehen Sie damit um?


Diskriminierung, Hassreden und Intoleranz sind keine Phänomene, die nur polnische Städte betreffen. Sie sprachen gerade selbst von Politikern in Deutschland, die Opfer von Angriffen werden. Die Verrohung der Sprache in der öffentlichen Debatte wird zu einer Zivilisationskrankheit. Wir müssen versuchen, dagegen vorzugehen. Und eine solche Form des effektivsten Damms ist die oben erwähnte Bildung. Der Schlüsselaspekt besteht darin, den Bürgerinnen und Bürgern Informationen über aktuelle soziale und politische Herausforderungen in Polen und auf der ganzen Welt zur Verfügung zu stellen. Es braucht eine Förderung eines Dialogs zwischen verschiedenen ideologischen, politischen, religiösen und weltanschaulichen Umfeldern.


Was konkret tut Danzig, um diese Ziele zu erreichen?


Es ist unerlässlich, eine Schulbildung zu entwickeln, die auf Menschenrechten und Grundwerten basiert. Danzig geht mit gutem Beispiel dafür voran, indem wir ein Pilotprogramm namens Danziger Bürgerunterricht gestartet haben. Außerdem wurde in unserer Stadt das Modell zur Integration von Einwanderern für die Verwaltung von Migration und Integration auf lokaler Ebene geschaffen. Das Ziel des Modells ist es, die Unabhängigkeit von Einwanderern zu stärken, indem es ihnen Informationen und Kenntnisse vermittelt, die für ein gutes Leben in Danzig erforderlich sind. Andererseits sollen Institutionen, deren Kunden immer häufiger Einwanderer sind, darauf vorbereitet werden, ihnen gleichberechtigt mit den Einwohnern von Danzig Dienstleistungen anzubieten.


Gibt es etwas, was Sie sich für die Zukunft der Partnerschaft zwischen Bremen und Danzig wünschen würden?


Die heutigen Akteure der Zusammenarbeit sind Einwohner unserer Städte, die tägliche Kontakte und lebendige Beziehungen unterhalten und Dutzende verschiedener Initiativen umsetzen. Wir haben längst das Stadium überschritten, in dem dieser Austausch einen “offiziellen Koordinator” benötigte. Unsere Rolle ist mehr, zu helfen und nicht zu stören, als zu initiieren. Initiatorinnen und Initiatoren sind bereits Vertreter verschiedener Lebenswelten in unseren Städten – dies ist eine Phase der Graswurzel- und organischen Arbeit. Ich wünsche unserer Partnerschaft, dass vor allem junge Menschen in den Kreis der Initiatoren und Autoren neuer Initiativen und Projekte kommen.